08.02.2002
          Art projects
        Iljitsch und Image
          Interview mit Katharina Wenzl
        [Mit Katharina Wenzl sprach Maxim Raiskine]
        
         Maxim 
          Raiskine: Wie und wann hattest Du zum ersten Mal die Idee, Lenin 
          in Kleidung von Modemachern zu stecken?
Maxim 
          Raiskine: Wie und wann hattest Du zum ersten Mal die Idee, Lenin 
          in Kleidung von Modemachern zu stecken?
          Katharina Wenzl: An den ersten Moment kann ich mich nicht mehr 
          erinnern. Wahrscheinlich geschah es, als ich begann, dem städtischen 
          Umfeld Aufmerksamkeit zu schenken, besonders den sowjetischen Denkmälern, 
          die bis heute in dieser Stadt stehen. Mir fiel auf, daß unter den Monumenten 
          der Sowjetzeit am häufigsten Lenin anzutreffen ist; während andere abmontiert, 
          verlagert oder vernichtet wurden, sind noch mehr als genug Denkmäler 
          des Anführers des Proletariats vorhanden. Ich fing an, darüber nachzudenken, 
          welchen Sinn sie jetzt, nach dem Zerfall der Sowjetunion, haben. Weiter 
          begann ich, eine Verwendung für sie auszudenken, um ihnen einen Sinn 
          zu geben, und hier kam natürlich gleich der Gedanke an Werbung auf. 
          Als ich dann zum ersten Mal das Lenindenkmal am Moskauer Prospekt näher 
          betrachtete, fiel mir auf, daß es einen sehr eleganten Anzug trägt. 
          Danach überlegte ich mir, was wohl wäre, wenn es keinen grauen Anzug 
          anhätte, sondern einen im Ton etwas kräftigeren, oder wenn der Mantel 
          von einem bekannten Modeschöpfer stammte.
           Maxim Raiskine: Der erste Anzug in Deiner Serie ist ein gelber 
          Anzug von Gucci. Warum ausgerechnet der?
 
          Maxim Raiskine: Der erste Anzug in Deiner Serie ist ein gelber 
          Anzug von Gucci. Warum ausgerechnet der?
          Katharina Wenzl: Warum Gucci? Warum alle anderen? Ich kann gleich 
          darauf antworten – ich habe Namen ausgewählt, die gut klingen und die 
          jeder kennt. Besonders viel Aufmerksamkeit habe ich nicht den einzelnen 
          Namen geschenkt, sondern dem Zusammenklang dieser Namen, denn sie sollten 
          in einem künstlerischen Ambiente nebeneinander hängen. Die Farben habe 
          ich mir in Zeitschriften angesehen, wobei mir bewußt war, daß sich die 
          Farben jede Saison ändern können. In diesem Sinne bin ich ziemlich frei 
          mit ihnen umgegangen. Gucci ist einfach deswegen gelb, weil mir schien, 
          daß das am besten zum Charakter und Klang dieses Namens paßt.
          Für Cerruti habe ich blau gewählt, für Versace rot. Letzteres schien 
          mir logisch, da in Rußland viele diese Firma mögen und rot eine „typisch 
          russische“ Farbe ist. Boss kenne ich allerdings etwas besser, da das 
          eine deutsche Firma ist. Bei meinen Besuchen in Boss-Geschäften hatte 
          ich den Eindruck, daß die Anzüge von Boss sehr streng geschnitten und 
          meist in gedämpften, dunkleren Tönen gehalten sind. Auch wenn hellere 
          Farbtöne verwendet werden, wirken sie streng. Grün schien zu Ermenegildo 
          Zegna zu passen, wahrscheinlich aufgrund des extravaganten Klangs des 
          Namen.
           Maxim 
          Raiskine. Cerruti und Zegna fallen etwas aus der Reihe, diese Namen 
          sind in den Massenmedien wesentlich weniger verbreitet. Armani ist bei 
          Dir nicht dabei, oder?
Maxim 
          Raiskine. Cerruti und Zegna fallen etwas aus der Reihe, diese Namen 
          sind in den Massenmedien wesentlich weniger verbreitet. Armani ist bei 
          Dir nicht dabei, oder?
          Katharina Wenzl. Ich habe die Werbung verfolgt, die in Zeitschriften 
          und im Fernsehen zu sehen ist, und diese Namen etwa gleich oft angetroffen. 
          Armani war in meiner Liste vertreten, wurde aber aus rein „literarischen“ 
          Erwägungen gestrichen. Ein gewisser Rhythmus der Namen bildete sich 
          heraus, Armani paßte da nicht hinein, nicht wegen modeschöpferischer, 
          sondern wegen klanglicher Kriterien. Ich habe die Namen in verschiedene 
          Reihenfolgen gebracht und sie laut gelesen. Außerdem habe ich beschlossen, 
          ihre Anzahl zu begrenzen, da ich eine zu häufige Wiederholung der Methode 
          uninteressant fand. Fünf Beispiele schienen ausreichend, um zu verstehen 
          zu geben, was gemeint ist. Am Schluß mußte Lenin selbst auftachen – 
          als Antwort auf diese „Aufgabe“ in fünf Teilen.
           Maxim Raiskine. Hast Du vor, die Idee irgendwie weiterzuentwickeln, 
          zum Beispiel die Anzahl der Modeschöpfer in Deiner Kollektion zu erweitern 
          oder eine Ausstellung in irgendeiner Boutique zu machen?
 
          Maxim Raiskine. Hast Du vor, die Idee irgendwie weiterzuentwickeln, 
          zum Beispiel die Anzahl der Modeschöpfer in Deiner Kollektion zu erweitern 
          oder eine Ausstellung in irgendeiner Boutique zu machen?
          Katharina Wenzl. Ich hatte so einen Gedanken. Aber bis jetzt 
          habe ich für mich selbst nicht die Frage geklärt, wie man das präsentieren 
          kann. Welche Grundlage man für ein konkretes Gespräch zu diesem Thema 
          finden könnte. Andererseits trug meine ursprüngliche Idee keinen kommerziellen 
          Kern in sich, ich war allein mit dem Gedanken beschäftigt, wie ich diese 
          Idee verdeutlichen könnte. Im Prinzip ist das natürlich möglich, man 
          muß sich aber im Klaren darüber sein, daß Boutiquen sich auf so eine 
          Aktion nur einlassen werden, wenn sie davon einen Gewinn haben.
           Maxim 
          Raiskine. Wenn Du nicht nur den Mantel, sondern auch das Jackett, 
          die Weste, die Hosen und die Kappe darstellen würdest, und zwar alles 
          von einer Marke, dann wäre es lukrativ für sie.
Maxim 
          Raiskine. Wenn Du nicht nur den Mantel, sondern auch das Jackett, 
          die Weste, die Hosen und die Kappe darstellen würdest, und zwar alles 
          von einer Marke, dann wäre es lukrativ für sie.
          Katharina Wenzl. Als ich mich mit der Vorbereitung des Projekts 
          befaßte, habe ich in einer Petersburger Zeitschrift einen Artikel über 
          einen Besuch von Schülern im Leninmuseum gelesen. Die Schüler waren 
          von der schwarzen Kappe Lenins, die da an einem Kleiderhaken hing, hingerissen. 
          Sie fanden sie sehr modisch. Meiner Ansicht nach bestätigt das meine 
          Meinung, daß der Anzug einfach klasse ist.
          Maxim Raiskine. Im Prinzip kann man irgendeiner Firma, z.B. Boss, 
          anbieten, einen nackten Lenin zu formen und ihn als Puppe zum Ausstellen 
          für Kleidungsstücke zu benutzen.
           Katharina 
          Wenzl. Ich weiß nicht, welchen Sinngehalt Lenin für sie in sich 
          tragen könnte. Wie sie sich dazu verhalten würden, daß keine junge Frau 
          zum Gesicht der Firma würde, sondern eine Figur, die inzwischen Geschichte 
          ist, so ein glatzköpfiger Onkel in den Jahren, ganz faltig. Obwohl es 
          in der heutigen Modewelt ja auch die Erscheinung gibt, daß bei Modeschauen 
          ältere Modelle Kleidung vorführen, Leute „mit Charakter“. Und das scheint 
          gerechtfertigt –Kleidung dieser Preisklasse können sich vor allem etwas 
          ältere Menschen leisten, die etabliert sind und schon einige „Geschichte“ 
          hinter sich haben, und sei es nur die Geschichte des eigenen erfolgreichen 
          Lebens...
Katharina 
          Wenzl. Ich weiß nicht, welchen Sinngehalt Lenin für sie in sich 
          tragen könnte. Wie sie sich dazu verhalten würden, daß keine junge Frau 
          zum Gesicht der Firma würde, sondern eine Figur, die inzwischen Geschichte 
          ist, so ein glatzköpfiger Onkel in den Jahren, ganz faltig. Obwohl es 
          in der heutigen Modewelt ja auch die Erscheinung gibt, daß bei Modeschauen 
          ältere Modelle Kleidung vorführen, Leute „mit Charakter“. Und das scheint 
          gerechtfertigt –Kleidung dieser Preisklasse können sich vor allem etwas 
          ältere Menschen leisten, die etabliert sind und schon einige „Geschichte“ 
          hinter sich haben, und sei es nur die Geschichte des eigenen erfolgreichen 
          Lebens...
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          Sechs Thesen des wissenschaftlichen Konsumerismus