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17.July 2002
Art&shock

Ärzte im Dienst der Kunst
[Maxim Raiskin]

"Koerperwelten"  von Gunther von HagensWie am 16. Juli die russische Informationsagentur "Nachrichten" (RIA Novosti) mitteilte, hat der Bezirkstaatsanwalt von Novosibirsk die strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich der Versendung von Leichen aus dem örtlichen Leichenschauhaus nach Deutschland beendet. Anfänglich waren 14 Ärzte eines medizinischen Instituts in Novosibirsk unter Verdacht, letztendlich wurden jedoch nur zwei der Missachtung der Begräbnis- und Bestattungsregeln angeklagt. Ihre Namen werden nicht genannt, um die laufenden Ermittlungen nicht zu behindern. Die Ärzte werden angeklagt, ohne das in solchen Fällen unbedingt notwendige Einverständnis der Angehörigen der Verstorbenen das Kunstprojekt "Körperwelten" des Dr. Gunther von Hagens unterstützt zu haben. Von Hagens ist der Gründer und Direktor des Heidelberger Instituts für Plastination, mit dem eines der medizinischen Institute in Novosibirsk einen Vertrag über die Bereitstellung von Leichen geschlossen hatte.
In wenigen Worten zusammengefasst beruht die von von Hagens seit 1977 ausgearbeitete Methode der Plastination und der Konservierung des Körpers auf der Ersetzung stofflicher Flüssigkeiten und Fette durch reaktive Polymere, z.B. durch Silikon oder Polyester. Nach der Entwässerung und der Entziehung der Fette gibt man den Körper in eine Lösung aus Polymeren, nimmt eine Bearbeitung im Vakuum vor, nach der die Haut, die nun anstelle der körperlichen Fette aus einer Plastikmasse besteht, in ihrem Äußeren und in ihrer Struktur erhalten bleibt.
Seine spezielle Methode ließ sich von Hagens zwischen 1987 und 1981 in Deutschland, England, Belgien, Österreich, Südafrika und den USA patentieren. 1980 gründete er die Firma BIODUR, die sich mit der Verbreitung der benötigten Polymere und der technischen Ausrüstung auf dem Markt beschäftigt. 1993 schließlich gründete er das Institut für Plastination in Heidelberg. Seine Ausstellungen, die auf ein breites Publikum ausgelegt sind, reisen seit 1996 durch die Welt. Seit diesem Moment hat die "Industrie der Unsterblichkeit" und mit ihr das Imperium von Hagens’ einen festen Platz in der modernen Unterhaltungsindustrie.
Selbstverständlich benötigt das Unternehmen von Hagens’ zu seiner Existenz eine gewisse ethische Unterfütterung neben jener, die verkündet, der Wunsch des Kunden zu kaufen sei Gesetz genug für den Verkäufer, und auch neben jener, die behauptet, die "Körperwelten" dienen der Bildung des Menschen und seiner Aufklärung bezüglich seiner eigenen Art und den Methoden der zeitgenössischen Pathologie und Präparierung. Ein ganz wesentliches Legitimationsmoment für von Hagens’ Institut sind die großzügigen Spender, die ihm ihre Körper nach ihrem Tod vermachen, um sie für wissenschaftliche und ethische Ziele zu verwenden. Die gerichtlichen Untersuchungen in Novosibirsk bezüglich 56 Leichen und 400 Hirnpräparaten werfen auf die Ziele und Methoden des Dr. von Hagens ein anderes Licht.
zahlreiche chinesische Praeparate von Guenther von Gunther von HagensSomit wird auch verständlich, warum sich unter den Exponaten einer der ersten Ausstellungen von Hagens’ im Museum der Technik und der Arbeit in Baden-Württemberg (30.10.1997-01.03.1998) derart zahlreiche chinesische Präparate befanden, denn seit 1996 ist von Hagens Professor der Medizinischen Schule in Dalian, China. Ebenfalls seit 1996 ist er Direktor der Staatlichen Akademie für Medizin in Bischkek, Kirgizstan; daher befinden sich in seiner Ausstellung auch Kirgisen, die 1997 ebenfalls auf der Ausstellung gezeigt wurden.
Diese Übereinstimmungen kann man natürlich als pure Zufälle abtun. Oder man kann sie der Missionarstätigkeit von Hagens’ zuordnen. Oder aber man kann sie dem Bestreben des Menschen zurechnen, in das Gedächtnis der Ewigkeit einzugehen, für das laut Boris Groys Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellvertretend das Museum steht. In Verbindung mit dieser selbsterschaffenen Mythologie ist es interessant, dass die Biografie Dr. von Hagens, erschienen bei Bastei Lübbe, den schönen Titel "Endlich unsterblich?" trägt. Jedoch sollte man nicht vergessen, dass die Unternehmungen von Hagens eindeutig von geschäftlicher Natur sind. Das Buch "Endlich unsterblich?" kann man auf der Homepage von Körperwelten – www.koerperwelten.com - bestellen, auch werden dort T-Shirts, Poster, Uhren, Mousepads, Rucksäcke, Postkarten und andere Souvenirs mit den Bildern der präparierten Leichen feilgeboten. Ebendort kann man auch die letzten Neuigkeiten erfahren: ANeue sportliche Serie von Gunther von Hagensuf den jüngsten Ausstellungen von Hagens’ in London und Seoul war eine sportliche Serie zu sehen: Fahrradfahrer, Basketballspieler, Torwarte, ein Hochspringer mit seiner Stange und Tänzer.
Geschäft ist Geschäft. Auch von Hagens’ Projekt funktioniert nicht ohne Material. Und wenn das Material zu Ende geht, so muss man neues kaufen unabhängig vom Grundgesetz Deutschlands, dessen erster Paragraf die völlige Unantastbarkeit der menschlichen Würde beinhaltet, eine Unantastbarkeit, die sich auch auf den Toten bezieht, dem die gleichen Persönlichkeitsrechte eingeräumt werden wie dem Lebenden.
Die Gerichtsverhandlung in Novosibirsk kann wohl kaum tiefergehend auf die Vorgänge im Imperium des Dr. von Hagens einwirken. Jedoch gelingt es ihr höchstwahrscheinlich, dass die Funktionsmechanismen in diesem Imperium unter einem neuen Licht gesehen werden.

Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)



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