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20.June 2002
Art&shock

Der Kampf des Jahrhunderts im "Herrenlosen Hund"
[Marta Jung]

Andrej Chlobystin – das erste Opfer der Petersburger "Schlaegereien ohne Regeln"Am 11. Juni fand im Künstlercafé "Herrenloser Hund" eine Dichterlesung mit dem Petersburger Poeten Dmitrij Golynko-Wolfson und dem Amerikaner Edic Shenderovich statt. Jedoch wurde nicht die Lesung selbst – die übrigens so langweilig und kraftlos war wie ähnliche Ereignisse dieser Art – zum wichtigsten Ereignis des Abends, sondern die Prügelei vor dem Hotel "Europa" zwischen dem bekannten Kunstkritiker Andrej Chlobystin und dem Star des Moskauer Aktionismus der 90er Alexander Brener. Der Zusammenstoß zwischen den beiden bahnte sich bereits zu Beginn der Lesung an. Laut einer der kursierenden Versionen schlug Chlobystin Brener, entweder im Ernst oder tatsächlich nur als Scherz, vor, sich bei Malevitsch zu entschuldigen: Die bekannteste Aktion Breners, für die er in Holland eine Gefängnisstrafe absitzen musste, bestand darin, dass er mit grüner Sprayfarbe ein Dollarzeichen auf ein suprematistisches Gemälde Kasimir Malevitschs im Stedelijk Museum in Amsterdam sprühte. Laut einer weiteren Version warf Chlobystin Brener vor, dass dieser die Revolution zum Theater mache und selbst vom Geld der Bourgeoisie lebe. Zu erraten, was weiter geschah, ist nicht sonderlich schwer, da die aufgestellten Thesen von Brener als Anleitung zum Handeln verstanden wurden – was dann auch schnell ausgeführt wurde. Chlobystin musste einen Schlag mit der Rechten einstecken, die Anwesenden warfen sich dazwischen und versuchten, die Streitenden auseinander zu bringen, womit die erste Runde des Kampfes beendet war.
Während der Auszeit des Zweikampfes konnten sich die Teilnehmer den dichterischen Werken Edic Shenderovichs (USA) und Dmitrij Golynko-Wolfsons (St. Petersburg) hingeben. Edic Shenderovich, der in San Francisco lebt, hat sich der Pflege der verlorengegangenen Fähigkeit zu erzählen verschrieben. Offensichtlich nicht über die Geschehnisse unterrichtet, wunderte er sich im Laufe des Abends sehr darüber, warum die Zuschauer nicht lacthen, was ansonsten bei seinen Lesungen immer der Fall ist. Dmitrij Golynko-Wolfson, Autor der Gedichtbände "Homo scribens", "Direktoria" und anderer zahlreicher wissenschaftlicher und poetischer Publikationen, las Fragmente aus seinen Werken "Elementare Dinge" und "Bettontauben". Die Lesung dauerte wie angekündigt eine Stunde und ließ die Zuhörer in eine unerträgliche Langeweile versinken. Jedoch stellte sich anschließend heraus, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. Am Ende der Lesung schlug Chlobystin, der auf eine Revanche wartete, Brener vor, den Kampf fortzusetzen. Dieser schlug vor, auf die zahlreichen Polizisten auf dem Platz der Künste verweisend, sich einen ruhigeren Ort zu suchen. Im Endeffekt suchten sich Brener und Chlobystin einen der Torbögen in der Nähe des Hotels "Europa" aus. Dem Publikum blieb nichts übrig, als auf die Streithähne zu warten. Sieben Minuten später tauchten die beiden sichtlich angeschlagen wieder auf. Soweit ich mich erinnere, hatte Chlobystin eine aufgeplatzte Lippe. Die Zuschauer, die bis dahin geduldig gewartet hatten, verstand nun, dass sie Zeugen des "Zweikampfes des Jahrhunderts" geworden war.
Interessant ist es zu bemerken, dass seit dem Erscheinen Breners und Schurzs in Petersburg Mitte Mai solche "Schlägereien ohne Regeln" schrittweise zu etwas Alltäglichem werden. Praktisch nicht eine Veranstaltung verläuft ohne Skandal. Es reicht bereits, an die Explosion während der Lesung Oleg Kuliks im Institut Pro Arte zu erinnern, als Brener die Zuhörer beschuldigte, all ihre Fragen seinen "sklavisch". Oder auch der Zwischenfall auf der Lesung Breners und Schurzs in der Puschkinskaja 10, als Brener eine Flasche Mineralwasser auf einen anwesenden Journalisten der jüdischen Petersburger Jugendzeitung "Nirgendwohin", Leonid Tsytkin, schleuderte. Anschließend versuchte Brener Tsytkin aus dem Saal zu entfernen, was er damit begründete, dass "alle, denen das nicht gefällt, sich selbst ins Knie ficken können". Oder der Skandal auf dem Festival der Poesie im Achmatova-Museum, bei dem Brener während seines Auftrittes – eigentlich sehr richtig – konstatierte, das alle Werke, die man im Haus an der Fontanka hören konnte, nicht Dichtung im eigentlichen Sinne seien, sondern eigentlich nur ihr (der Dichtung) Unbewusstes. Diese Liste kann man im Prinzip beliebig fortführen, da solche Ereignisse offensichtlich zum Alltag Breners gehören und sich daher jeden Tag wiederholen. Übrigens, Brener selbst hält sich nicht für eine skandalträchtige Person oder für einen – was fast das gleiche ist – radikalen Künstler.Alexander Brener hat nicht vor, in sich den Boxer zu kultivieren Bestehend auf der politischen Ausrichtung aller seiner jüngsten Aktionen, betrachtet er seine Auftritte als politischen Aktivismus. Die Grundlage seiner Petersburger Aktionen bildet die Organisation eines linksradikalen Seminars im Kulturzentrum in der Puschkinskaja 10.
Ob nun die Prügelei mit Chlobystin auch zu diesem verkündeten Programm politischer Aktionen gehörte, ist schwer zu sagen. Mit Vorbehalt kann man nur sagen, dass sie zum Teil der Geschichte der aktuellen Kunst in St. Petersburg wurde sofort nachdem sie stattgefunden hatten.

Übersetzt von Sandra Frimmel(Berlin)



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